Monday, September 18, 2006

Globalisierungsbericht II

Ghana - ein Land vor unserer Zeit?

Die Menschen, das Land, das Klima, die Verhaltensweisen, der Umgang.... Dies alles faellt einem frueher oder spaeter in einem voellig fremden Land auf. Am Anfang ist man ueberwaeltig, erschlagen von den Eindruecken, von den Geruechen und Bildern die auf einen einwirken. Dann beginnt man so langsam aufzuwachen, sich an seine neue Umgebung zu gewoehnen. Ein Tagesablauf spielt sich so langsam ein und es schleicht sich Kontinuietaet in das Leben. Ich kann es nicht Alltag nennen, denn dies scheint es fuer uns hier nicht zu geben, aber viele Dinge wiederholen sich, man kann sich auf sie verlassen.

Dies, so scheint mir, ist dann auch der Punkt in einer Reise, wo man beginnt Parallelen zu seinem Gastland und seiner Heimat zu suchen. Man vergleicht, versucht sich anhand verschiedener Gegebenheiten die Unterschiedlichkeiten und Missverstaendnisse verstaendlich zu machen.

Man kommt in Ghana nicht drum herum festzustellen, dass egal wohin man geht, man mit offenen Armen empfangen wird, das Menschen sich freuen Bekannte auf der Strasse zu treffen, Zeit haben um kurz anzuhalten um sich mit einem Fremden zu unterhalten. Anfangs steht man der Frau auf dem Markt noch misstrauisch gegenueber. Nennt sie mir, dem Obrouni (Weisser), auch wirklich den richtigen Preis fuer das Brot, oder zahle ich aufgrund meiner Hautfarbe einen besonderen Aufschlag? Was ist mit dem Mate (Kassierer) im Trotro, wird er mir unbemerkt von den Anderen weniger Wechselgeld wieder geben oder es sogar komplett vergessen?
Man macht in Ghana diese unglaubliche, scheinbar schon fast verloren gegangene Erfahrung von Hilfsbereitschaft, Offenheit, Freundlichkeit und Ehrlichkeit. Ich wurde bis zum heutigen Tag noch nicht einmal (wissentlich und die Taxifahrer mal ausgenommen) ueber den Tisch gezogen. Sollte sich jemand anmassen, auch nur auf die Idee zu kommen jemanden zu viel Geld abzunehmen oder geschweige denn auszurauben, dann kann man sich der Hilfe seiner Mitmenschen umgehend bewusst sein. Wie z.B. gestern Abend, wo die Meute einen Taschendieb gestellt und zum Polizeirevier gebracht hat. Man sah ca. 50 Menschen die in einer Traube um den Straefling herum standen und ihm keine Moeglichkeit zur Fluch liessen.

Da ich nun schon gerade dabei bin eine kleine Hommage auf Ghana und seine Menschen zu schreiben, moechte ich auch etwas Anderes nicht auslassen.
Ghana besitzt so gut wie kein soziales Netz. Es gibt weder eine Arbeitsloseversicherung noch eine gesetzliche Krankenversicherung, geschweige denn andere soiziale Auffangnetze fuer Hilfsbeduerftige. Hat man es geschafft in einer grossen internationalen Firma unter zukommen, so kann man sich gluecklich schaetzen, denn diese ist meistens die einzige Institution, die Ihre Arbeitnehmer auffaengt. Aber vielleicht ist ja so ein soziales Netz wie wir es in Europa kennen gar nicht noetig?

Unterhaelt man sich mit der Bevoelkerung so bekommt man von ihr ein bemerkenswertes Bild. In den meisten Familien hier arbeitet immer noch ein Grossteil in der Landwirtschaft und besitzt privates Farmland. Kommt nun jemand in Not, hat er seinen Job verloren, kein Geld mehr, keine Unterkunft und nichts zu essen, so kann er jedoch gewiss sein, das er jeder Zeit bei Freunden und Familie unter kommen wird, wohnen kann, Essen erhaelt und ihm ein Stueckchen Land zur eigenen Landwirtschaft zur Verfuegung gestellt wird. Familie und Freunde bilden in Ghana zusammen das soziale Netz, welches Notbeduerftige auffaengt, aufbaut und wieder neue Kraft gibt. Derjenige der solch eine Hilfe in Anspruch nimmt, darf sich jedoch nicht darauf ausruhen. Haus und Hof draengt ihn in moeglichst absehbarer Zeit wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Das erhoeht den Druck, denn die sozialen Zuwendungen seitens der Familie und Freunde sind auch nur zeitlich begrenzt.
Diese starke familiaere Bindung hat aber auch Nachteile. Sie engt ein. Sie hindert Menschen an ihrer persoenlichen Entfaltung, Traeume zu verwirklichen und eigenen Interessen nach zugehen. Hat es jemand zu einer angesehenen Position und einem soliden Einkommen geschafft, so ist er Zeit seines Lebens verpflichtet seine Familie und Freunde mit zu versorgen. Er wird selber von seinem Aufstieg nur wenig profitieren.

Diese Beziehungen schaffen fuer Fremde wie mich in erster Linie eine angenehme Atmosphaere. Man sieht Menschen ein gesundes Verhaeltnis zu einander pflegen. Man fragt sich jedoch auch, wie lange dies noch so weiter gehen mag. Schon meine Generation versucht sich hier von den Fesseln zu befreien, will auf eigenen Beinen stehen. Sie will es Europa und Amerika gleich machen. Unabhaenig, Frei, Individuell. Die Marktwirtschaft und die Globalisierung wird es garantiert erreichen. Doch diejenigen, die leider nicht den noetigen Bildungsstand fuer diese neue Generation mitbringen, diejenigen die aus den Doerfern kommen, die in den Staedten das Geld suchen und in Europa ein Land aus Villen, grossen Autos und unbegrenzten Moeglichkeiten sehen, diejenigen werden hinten ueber fallen. Sie werden nicht zurueckkehren in die Doerfer aus denen sie stammen, werden auch nicht vom Staat aufgefangen. Die Kriminalitaetsrate in den Staedten beginnt zu steigen. Das Problem von Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit wird akut. Die Gefahr der klaffenden Schere zwischen Arm und Reich vergroessert sich. Fortschritt und Markt wird vielen Menschen in Ghana Traeume verwirklichen lassen. Es wird aber auch dazu fuehren, dass sich die soziale Struktur der Gesellschaft veraendert. So wie das marktwirtschaftliche System, u.a. durch die Strukturanpassungsprogramme des IMFs, von den Industrienationen uebernommen wurde, so besteht ebenfalls die Gefahr das auch die entsprechenden Gesellschaftsstrukturen aus diesen Nationen adoptiert werden. Dies soll nicht bedeuten das Ghana in eine Planwirtschaft zurueckfallen soll, es soll vielmehr den Bedarf an sozialen Strukturen aufzeigen, um einen evtl. gesellschaftlichen Umschwung aufzufangen.
Starke soziale familiaere Bindungen sind in Europa und dem Rest der Industrienationen immer seltener zu finden. All zu oft tritt der Staat in diese Stelle, der gezwungen ist seine hilfsbeduerftigen Buerger zu unterstuetzen. Wenn die noetigen sozialen (staatlichen) Strukturen jedoch in einem Land wie Ghana nicht vorhanden sind, wird dies unweigerlich zu gesellschaftlichen Konflikten fuehren.

Ob Ghana diese Probleme meistern wird haengt stark davon ab, was der Staat in den naechsten Jahren im Bereich des good governance gedenkt zu tun. Wie wird er den oeffentlichen Sektor gestalten? Wie werden Verantwortlichkeiten geregelt und wie kann mehr Transparenz in den staatlichen Taetigkeiten erreicht werden?
Viel wichtiger aber sind meines Erachtens der Wille und die Einstellung der Menschen hier in diesem Land, denn der Schluessel zu einer nachhaltigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung liegt in Ihren Haenden!

Eine Prognose ist fuer mich sehr schwer zu treffen, ich hoffe jedoch das die Menschen es schaffen sich so lange wie moeglich ihre positive und offene Art zu erhalten, denn Individualismus und Egoismus wird in unseren Breitengeraden genug gelebt!

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