Friday, September 22, 2006

Dekadenz im Schatten der Armut

Mit einem Blick auf den Kalender kam ich vor ein paar Tagen sehr ins staunen. Wir sind nun schon drei Wochen hier in Tarkwa und haben so viele Eindruecke und Erlebnisse zu verarbeiten, dass es mir schwer faellt ueber vieles zu berichten.

Wir koennen uns hier sehr gluecklich schaetzen, denn die Unterkunft in der wir wohnen wird von Tag zu Tag immer mehr unser zu Hause. Auntie Grace, unsere Gastmutter, kuemmert sich liebevoll um uns. Wir bekommen jeden Morgen frisch gebackenes Brot, riesen Avocados und Papaya als Fruehstueck geboten und abends, sofern wir moechten, noch unsere Lieblingsspeisen gekocht. Das mit den Lieblingsspeisen ist hier in Ghana uebrings nicht ganz so einfach. An das glitschige und recht weiche Fufu habe ich mich nun so langesam gewoehnt. Es ist eine Kombination aus Cassava (einer Wurzeknolle die hier vermehrt angebaut wird) und Kochbananen, welche unter einer gefaehrlich anmutenden Prozedur vermischt werden. Dabei stampft ein Mann mit einem immer gleichen Rhythmus einen zwei Meter langen Holzstamm in eine Schale, waehrend die Frau mit windigen Haenden kleine Cassava und Bananenstueckchen dazwischen legt. Bei ungeuebten und voellig rhythumsunfaeghigen Europaern fuehrt diese Taetigkeit zu extremen Blasenbildungen an den Haenden sowie zu unaufhoerlichem Gelaechter unten den indigenen Voelkern. Ein Spass fuer die ganze Familie, so zu sagen.
Zum Glueck gibt es hier aber auch Spaghetti, Kartoffeln und Reis, so dass sich fuer uns immer was Essbares zaubern laesst.

Tagsueber verbringen wir die meiste Zeit im Buero von WACAM, welches direkt an der staedtischen Busstation liegt. Der Nachteil sind die widerlichen Abgase, die hier jeden Tag durch das Buero wehen und die Nase verstopfen. Das „Buero“ selber besteht aus zwei Raeumen in denen hauptsaechlich drei Mitarbeiter taeglich anwesend sind.
Zum einen ist da Kwesi, zustaendig fuer Community Relations. Ein ehemaliger Galamsey (illegaler Goldschuerfer) von 33 Jahren, der sein zu Hause hier im WACAM Office gefunden hat. Er arbeitet hier, er isst hier, er schlaeft hier, er.... Im Grunde ist Kwesi, wenn er nicht in der Kirche ist, immer hier und lernt oder schlaeft. Kwesi hat sich zur Aufgabe gemacht sein High School Diplom nachzuholen, um dann im Anschluss Oekonomie zu studieren. Er paukt also gerade die Einfuehrung in die Oekonomie und Mathematik, um dann spaeter einmal Professor zu werden. Ich will nicht an seinem Talent zweifeln und ihn auch nicht entmutigen, doch der Weg zum Professor ist steinig und steil, besonders hier in Ghana.
Dann ist da Faustin, der Angestellte und das einzige Nicht-WACAM-Mitglied im Buero. Er erledigt hin und wieder Dies und Das, was aber genau seine Aufgaben sind weiss er, glaube ich, selber nicht. Ich habe noch nie einen Menschen so viel ueber Liebe und Sex sprechen hoeren wie ihn. Kennen gelernt habe ich ihn in einer Diskussion ueber die „Wahre Liebe“ und das Frauen in Ghana immer nur das Geld sehen, anstatt den wahren Charakter eines Menschen. Ich bin Faustin sehr dankbar, nicht fuer seine Tipps hinsichtlich Liebe, dafuer aber fuer seine Bemuehungen uns vielen Leuten vorzustellen um uns das Leben hier leichter zu machen. Durch ihn haben wir schon viele Freunde gewonnen, mit denen wir haeufig abends zusammen essen, reden, trinken und somit einen Einblick in das private Leben in Ghana bekommen.
Zu Letzt ist da noch Mr. Paul, der Accountant von WACAM. Ein auf mich sehr intellektuell und gebildet wirkender Mensch. Er sitzt mit seiner kleinen Brille vor dem Computer und den Aktenbergen und hat die Finanzen dieser NGO fest im Griff. Das muss er auch, denn Ausgaben sind auch hier schnell gemacht. Es gibt Geld fuer die unterschiedlichsten Gegebenheiten. Kommen z.B. Bewohner aus den Doerfern zu uns in das Buero oder veranstaltet WACAM einen Workshop, so muss Mr. Paul tief in das obere Schubfach seines Schranks greifen, wo die unzaehligen Buendel an Geld vor sich hin schlummern. Jeder bekommt eine kleine Fahrtkostenpauschale, welche fuer unsere Verhaeltnisse wenig, fuer die Menschen hier jedoch manchmal ein ganzes Monatseinkommen bedeuten kann.
Interessant ist auch das Interieur unserer NGO. Seid vier Jahren darf sich WACAM ueber zwei neue Dell-Computer freuen, welche aufgrund einer grosszuegigen Spende von USAID ihren Platz hier gefunden haben. Als ich dann neulich mal die Ablage des Bueros durchstoeberte, welche aus zwei staubigen Kartons besteht, bin ich zu meinem grossen Erstaunen auf einen wunderschoenen, unbenutzten Beamer gestossen. Im Zuge der Spende hat auch diese Technologie in den Bueros von WACAM Einzug gehalten. An sich eine gute und wichtige Sache wie ich finde, jedoch lag der Beamer nicht ohne Grund seid vier Jahren unter den staubigen Akten begraben.
Die Mitarbeiter wissen wie sie auf ihren Computern Dokumente schreiben koennen, wie man Musik abspielt und vereinzelt auch wie man Exel benutzt. Sie haben jedoch keine Ahnung von Dateistrukturen, Programmen wie PowerPoint oder anderen Anwendungen, geschweige denn davon, wofuer ein Beamer zugebrauchen ist. Worin besteht also die Hilfe wenn man Entwicklungslaendern modernste Technologie zur Verfuegung stellt, Ihnen aber nicht die Ressourcen gewaehrt sie auch in diese Technologie einzufuehren?
Die Folge dessen ist, dass sich zwei deutsche Studenten den Spass erlaubten, den Beamer ueber das Wochenende mit nach Hause zu nehmen, um sich dann im Kinoformat Surfvideos aus einer anderen Welt anzuschauen, in einem Haus wo Menschen wohnen die nicht genug Schulgeld aufbringen koennen und deshalb, anstatt zu lernen, zu Hause bleiben muessen. Das ist Falsch!
Es soll hier jedoch nicht unerwaehnt bleiben, das ich ein aeussert schlechtes Gefuehl bei dieser Dekadenz hatte und wir hier auch nicht untaetig rum sitzen und die Menschen bedauern. Vivian hat seid Beginn unseres Aufenthalts hier die PowerPoint Schulung uebernommen und ich werde den Mitarbeitern Exel naeher bringen. Der richtige Gebrauch eines Beamers folgt nun garantiert auch demnaechst....

Abseits unserer Buerotaetigkeiten hier in Tarkwa haben wir auch unser Dokumentarfilm-Projekt weiter voran getrieben. Anfang letzter Woche haben Vivian und ich dafuer drei Tage in einer kleinen Community namens Chujah verbracht. Ich hatte vor ein paar Wochen in meinem Globalisierungsbericht I schon einmal von Chujah berichtet. Wir sind also wieder zurueckgekehrt in das Dorf um das Leben, die Probleme und die Verhaeltnisse der Menschen genauer vor Ort zu studieren und zu filmen. Ich hatte Anfangs ein mulmiges Gefuehl, denn das Leben im Dorf ist hier ein anderes als das in der Stadt, geschweige denn zu vergleichen mit dem in Deutschland. Ich bin es mittlerweile gewohnt auf viele eurpoaeische Annehmlichkeiten zu verzichten, aber der Blick in unser karges, aus Beton gegossenes Domizil, ohne Matratze und Wasser, hat uns beide etwas verdutzt gucken lassen. Wir waren auch nicht so klug Isomatten mitzubringen, so dass wir zwei „harten“ Naechten entgegen sahen.
Es sollte jedoch anders kommen. Mein Anfangsgefuehl legte sich gleich in den ersten Minuten, da wir so unglaublich herzlichen von den Bewohnern willkommen gehiessen wurden. Die Menschen freuten sich so sehr ueber unser kommen, dass sie es gar nicht abwarten konnten, bis wir unsere Kamera ausgepackt hatten und loslegten. Uns wurde alles gezeigt: von der Landwirtschaft ueber das Dorfleben bis hin zu den Traditionen. Fuer uns wurden Kokosnuesse von den Palmen geschlagen, Essen aus einem 30km entfernten Dorf besorgt, eine Matratze inkl. Laken und Kissen organisiert sowie zwei Oellampen bereit gestellt. Alles nur Erdenklich wurde uns von den Lippen ablesen....ich kam mir sehr unwohl in meiner Haut vor.
Da waren Menschen, die in Lehmhaeusern wohnten, ohne Elektrizitaet, ihre einzigen Einnahmequellen bestanden aus dem Cassavaanbau und der Holzkohleproduktion. Sie haben weniger als 10 Euro pro Woche zur Verfuegung um eine 5-koepfige Familie zu ernaehren, kauften aber jeden Tag fuer uns Reis mit Fleisch, Unmengen an Cola, Brot und Tee und wollten nichts dafuer annehmen. Diese Menschen leben mit oelverschmuzten Trinkwasser und sind auf Frischwasserlieferungen der Minenfirma angewiesen. Einmal am Tag fuehrt die 50 Meter entfernte Mine Sperrungen durch, die an manchen Tagen eine Kraft von 5,6 auf der Richterskala erreichen. In ein paar Wochen wird ihnen nun auch das Farmland genommen und sie hoffen auf Kompensationszahlungen und Umsiedlungen, denn dort weiter wohnen wird vermutlich nicht mehr lange moeglich sein.
Wir fanden am Ende eine Loesung um uns erkenntlich zu zeigen. So zahlten wir jedem Dorfbewohner den wir gefilmt hatten einen kleinen Betrag pro „Drehtag“ als Aufwandsentschaedigung. Sie nahmen es dankend an und wir konnten guten Gewissens nach Hause fahren.

Diese Tage waren sehr eindrucksvoll und praegend fuer mich. Sie haben Spuren hinterlassen die sich vermutlich nicht mehr verwischen lassen. Sie hinterlassen aber auch eine Menge Fragen, auf die ich in diesem Land noch nach Antworten suche.

An dieser Stelle soll aber nun fuer heute Schluss sein. Wie ich schon Anfangs schrieb, es gibt so viel zu berichten, dass ich nicht alles erzaehlen kann. Ich werde Euch auf dem Laufenden halten und hoffe es geht Euch allen gut?

Viele liebe Gruesse!

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